Foto: Toronto, Kanada. MĂ€rz 2025
Die erwachsen gewordenen Kinder loslassen zu lernen, ist fĂŒr Eltern ein schwerer Schritt. So schwer, dass die Wissenschaft den Folgen des VerlustgefĂŒhls sogar einen Namen gegeben hat: Empty-Nest-Syndrom.
Hello Toronto
Als meine 18jĂ€hrige Tochter vor ein paar Wochen ihren Koffer packte und sich auf eine Sprachreise in die 6.800 Kilometer entfernte Stadt Toronto in Kanada begab, war meine GefĂŒhlswelt anfangs sehr durchwachsen. Der Gedanke an ein leeres Nest – ohne sie – machte mich als Mama wehmĂŒtig. Das erste Kind, mein MĂ€dchen. Vor kurzem hat sie noch ordentlich Schwung in die Bude gebracht. Und jetzt? Gleichzeitig verspĂŒre ich auch eine belebende Aufbruchsstimmung. Endlich habe ich wieder mehr Zeit fĂŒr mich, mehr Momente fĂŒr die Partnerschaft und viel mehr Ordnung im Haus.
Bald kehrt sie wieder aus Toronto nach Hause zurĂŒck – mit einem Rucksack voller Lebenserfahrung und EindrĂŒcke. Weltoffener, selbstsicherer und selbstbewusster.
Ab Herbst beginnt sie ihr Studium und wird dann fĂŒr lĂ€ngere Zeit fort sein. Toronto ist nur der Beginn. Plötzlich kann ich nicht mehr automatisch am tĂ€glichen Leben meines Kindes teilhaben, wie es bis vor kurzem so selbstverstĂ€ndlich war. Loslassen lernen ist eine Challenge.
Wenn Eltern nicht loslassen können
Loslassen lernen fĂ€llt vielen Eltern nicht leicht. Doch irgendwann, bei den einen nach ein paar Wochen, den anderen nach ein paar Monaten, gewöhnt man sich an die neue Situation und kann die Vorteile, die dadurch entstehen, zu schĂ€tzen lernen. In manchen FĂ€llen wird der Trennungsschmerz jedoch extrem und erscheint unĂŒberwindbar, das Empty-Nest-Syndrom stellt sich ein. Nicht selten bleibt Eltern jahrelang wenig Zeit fĂŒr ein Leben auĂerhalb der Elternrolle. Eine Tatsache, die sich oft erst jetzt bemerkbar macht. Ihr erkennt dabei, dass ihr euch lange Zeit vor allem ĂŒber eure Kinder definiert habt und eure IdentitĂ€t und eure Lebensrollen erst wieder neu finden mĂŒsst.
Solche Eltern kompensieren den Verlust manchmal mit stĂ€ndigen Anrufen und werfen mit wilden Ausreden fĂŒr Besuche oder Einladungen um sich. Gebt euren Kindern den Freiraum, den sie sich wĂŒnschen. Wenn sie eine Zeit lang ohne euch auskommen möchten, tut das weh. Ihr solltet es aber akzeptieren. Das Ablösen dĂŒrft ihr nicht zu persönlich nehmen. Versucht euch eher darĂŒber zu freuen, dass euer Kind sehr selbststĂ€ndig ist.
Loslassen lernen heiĂt Vertrauen beweisen.
Loslassen beginnt lange vor dem Auszug der Kinder
Die Phase der Abkapselung vom Elternhaus beginnt nicht erst mit dem Auszug euer Tochter oder eures Sohnes. Sie beginnt bereits mit dem Einsetzen der PubertÀt. Bestimmt habt auch ihr euch in dieser Zeit heftige KÀmpfe mit eurem Teenager geliefert, habt euch entfremdet und eure Erziehung als gescheitert angesehen, weil nichts mehr von den Werten, die ihr eurem Kind von klein auf mitgegeben habt, in seinen Handlungen wiederzufinden war. Die IdentitÀtskrise, die pubertierende Jugendliche durchlaufen, zeigt Eltern, dass es langsam an der Zeit ist das Kind loszulassen.
Loslassen heiĂt nicht Verlieren. Die Beziehung zu euren Kindern verĂ€ndert sich einfach. NĂ€he und gute RatschlĂ€ge sind zeitweise einfach nicht mehr so sehr gefragt. Dennoch solltet ihr euren Kindern immer signalisieren, dass ihr offene Ohren fĂŒr sie habt und ihnen immer Halt im Leben geben, wenn sie diesen brauchen. Zieht euer Kind aus, ist die PubertĂ€t meist ĂŒberwunden und die Beziehung verĂ€ndert sich noch einmal.
Auch hier gilt weiterhin: Loslassen lernen und doch Dasein, wenn dein Kind dich wirklich braucht.
Neue Freiheiten gewinnen
Der Auszug des Kindes bringt einen entscheidenden Vorteil mit sich, den ihr schnell schĂ€tzen und lieben lernen werdet: neu gewonnene, bzw. wiedergewonnene Freiheiten. All die Energie, die ihr bislang in euer Kind hineingesteckt habt, könnt ihr nun umleiten und fĂŒr euer eigenes Leben verwenden.
Zeit fĂŒr die Beziehung: Eltern haben wieder mehr Zeit fĂŒr sich und damit auch Zeit, die Beziehung zueinander wieder mehr aufflammen zu lassen. Ihr habt nun Zeit nur fĂŒr euch und könnt die Zweisamkeit, die ihr vor eurem Kind erlebt habt, wieder neu entdecken. Von der Eltern- zur Partnerschaftsrolle oder zur Ich-Rolle.
Zeit fĂŒr Neues: Keine Tochter oder keinen Sohn mehr versorgen mĂŒssen, heiĂt auch mehr Zeit fĂŒr Hobbys oder fĂŒr etwas total Neues. Besonders Eltern, denen das loslassen lernen schwer fĂ€llt, kann es sehr helfen sich ein neues Hobby zu suchen. Etwas „gemeinsames Drittes“ oder einem langersehnten Wunsch nachgehen. FĂŒr uns beginnt damit auch ein neuer Lebensabschnitt, den wir selbst gestalten dĂŒrfen. Jetzt ist die beste Zeit fĂŒr Möglichkeiten und Chancen nutzen. Einerseits eine gute Ablenkung, andererseits Fokussierung auf neue Projekte.
Mehr Freiraum: Ab jetzt gibt es keine nervigen Diskussionen mehr um die Badezimmerzeiten, keine Sorge vor dem hereinplatzenden Teenager beim Sex, keine stĂ€ndigen Ermahnungen zum AufrĂ€umen und kein KĂŒmmern um Arzttermine mehr. Freiraum ohne Ende.
Sie stehen gut im Leben
Auch wenn das Empty-Nest-Syndrom zunĂ€chst schmerzhaft ist, ihr werdet euch an den Alltag ohne Kind gewöhnen und euer Leben auch auf diese neue Weise lieben lernen. Manchmal vermisst man die herausfordenden Zeiten, die in den vier WĂ€nden ĂŒber viele Jahre gelebt und durchlebt wurden. Denn auf einmal wird es ruhiger. Und auch dieses GefĂŒhl von Trauer dĂŒrfen wir fĂŒr einen Moment zulassen. Mit einem hoffnungsvollen und positiven Blick in die Zukunft: Auf das was noch noch so kommt. Wenn die Kinder ihren eigenen Platz im Leben noch nicht gefunden haben, können auch die Eltern sich nicht weiterentwickeln. Ablösen mĂŒssen sich beide â auf ihre eigene Weise.
Inzwischen meldet sich meine Tochter regelmĂ€ssig. Sie hat total viel SpaĂ und es geht ihr sehr gut. Das beruhigt mich. Und ich spĂŒre und vertraue darauf: Sie steht gut im Leben.
Gut zu wissen
Im 1:1 Setting: Eine Familienaufstellung, eine Beratung, ein Coaching oder deine Lebensrollen neu zu definieren – können dich dabei unterstĂŒtzen, diesen Lebensabschnitt als Schönes und Wunderbares zu gestalten. DarĂŒber zu reden, etwas anzugehen bewahrt dich vor Lebenskrisen, negativen GefĂŒhlen, Ăngsten und Unzufriedenheit.
Reden wir darĂŒber.
Melde dich jederzeit gerne fĂŒr ein offenes und vertrautes GesprĂ€ch. Termine nach Vereinbarung. Hier gehts zu meinem Kontakt.
Ich freu mich dich kennenzulernen.
Deine Nicole
Von N. Burtscher, L. Purrio