Gefühle wollen gefühlt werden

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Belastende Gefühle zulassen: Alles fühlen, was da ist.
Niemand fühlt sich gern beschämt oder verzweifelt. Wir drücken
belastende Gefühle oft weg. Die Gefühle machen einfach, was sie wollen.

Ein besserer Weg: Bewusst fühlen – und loslassen.

Wir sind täglich mit belastenden und unangenehmen Gefühlen konfrontiert. Meist sind es Alltagsärgerlichkeiten oder herausfordernde Gefühle etwa wie die Angst vor einer schweren Erkrankung, Sorgen um die Kinder, Trauer über Menschen die gegangen sind, Herzschmerzen bei Trennung sowie Enttäuschungen und die Konfrontation mit Zukunftsängsten. 


Vermeiden, grübeln, wegdrücken: Warum das keine gute Strategie ist?
Wie wir mit herausfordernden Emotionen auf eine gute Art und Weise umgehen, haben wir in der Schule ganz sicher nicht gelernt und oft auch nicht im Elternhaus. Heute erhalten Eltern eher die Empfehlung, ihren Kindern die eigenen Gefühle zu zeigen: Kinder sollen auf diese Weise die Erfahrung machen, dass Gefühle – auch die weniger angenehmen – natürlicherweise zum Leben dazugehören, nach einer gewissen Zeit wieder vergehen und die Eltern sich gar nicht davor fürchten.


Doch sind wir wirklich gegenüber allen Gefühlen so offen?
Wer immer gut drauf sein muss, nur tolle Momente posten will oder auf Instagram in die Kamera strahlt, wird zwangsläug weniger attraktive Gefühle bekämpfen oder verdrängen. Wer das versucht, hat eine Menge zu tun, denn es gibt eine lange Reihe solcher belastender und herausfordernder Gefühle.
Da sind zunächsteinmal Gefühle, die zwar unangenehm sind, denen wir uns aber meistens gewachsen fühlen, beispielsweise milde Formen von Angst, Ärger oder Traurigkeit. Wenn sie intensiver werden, fällt es uns schon schwerer, gut mit ihnen zurechtzukommen. Starke Angst kann sich zu einer Panikattacke auswachsen, tiefe Verzweiflung kann zu Suchtverhalten führen. Und so manche Gefühle sind extrem belastend, intensive Schuld- und Schamgefühle etwa oder Selbsthass.


Wer seine Gefühle fühlt, entlastet sein Gehirn.
Eine der häufigsten Strategien beim Umgang mit Gefühlen ist sicher unser Versuch, das Gefühl wegzudrücken. Wir stürzen uns in die Arbeit, surfen stundenlang im Netz oder wehren uns körperlich gegen unsere Gefühle, indem wir die Zähne zusammenbeißen. All das mag kurzfristig sogar wirkungsvoll sein, doch verarbeitet ist das Gefühl dadurch noch lange nicht.
Die Forschung zeigt, das Wegdrücken lässt unsere Gefühle nicht wirklich abklingen. Gefühle sind wie ein Wecker: Hört man ihn, so kann man ihn abstellen, wird er aber nicht wahrgenommen, so klingelt er permanent weiter.


Richtig über belastende Gefühle reden.
Drücken wir unsere Gefühle beiseite, so sind sie nicht einfach weg, sondern sorgen teilweise sogar für eine hochstressige Daueraktivierung im Gehirn. Und genau daraus können psychische und körperliche Probleme entstehen: So erhöht sich unter anderem das Risiko, an einer Depression zu erkranken, der Blutdruck kann ansteigen, psychosomatische Symptome können auftreten oder eine allgemeine körperliche Anspannung. Unangenehme Gefühle wegzuschieben, statt ihnen Beachtung zu schenken, ist also keine empfehlenswerte Taktik.


Der Psychotalk – eine verschleierte Vermeidung unserer Gefühle.
Seit Jahrzehnten wird uns vermittelt, wie wir psychologisch korrekt über uns und unsere Empfindungen reden sollen. Man rät uns etwa, Ich-Sätze zu verwenden und unsere Gefühle zu benennen. Das tun wir dann auch – oder wir glauben zumindest, dass wir dies tun. Denn tatsächlich benutzen wir bei solchem Psychotalk zwar sehr oft das Wort „Gefühl“, ohne aber wirklich über unsere Gefühle auszusprechen.
Denn es sind Pseudogefühle, über die wir bei solchen Anlässen reden. Angst, Freude, Traurigkeit oder Ärger, diese und viele andere sind unsere echten Gefühle. Die Pseudogefühle oder Als-ob-Gefühle tragen zwar das Wort „Gefühl“ oder „fühlen“ in sich, haben aber in Wirklichkeit nichts mit einem Gefühl zu tun. Wenn wir sagen: „Ich habe das Gefühl, dass es morgen schönes Wetter gibt“, sprechen wir genauso wenig über ein Gefühl, wie wenn es heißt: „Ich habe das Gefühl, dass du mich nicht magst.“


Das Pseudogefühl.
Pseudogefühle können wir an bestimmten Redewendungen erkennen wie „Ich habe das Gefühl, dass…“ oder „Ich fühle mich wie…“. Wenn wir einen Satz so einleiten, wird in dem, was dann folgt, nicht wirklich über ein Gefühl gesprochen. „Ich habe das Gefühl, dass du mich nicht respektierst“ ist eben kein Gefühl, sondern letztlich eine Interpretation, ein oberflächliches Gefühl. Dem wahren Gefühl können wir aber ganz leicht auf die Spur kommen, nämlich indem wir uns fragen: Was für ein Gefühl kommt auf, wenn ich denke, dass du mich respektlos behandelst? Was fühle ich wirklich?


Das echte Gefühl.
„Wenn ich daran denke, dass du mich respektlos behandelst, fühle ich mich verletzt und traurig.“ Eine solche Aussage würde die Gefühle wirklich benennen – und bei meinem Gegenüber sicherlich mehr Empathie wecken als ein klassischer Vorwurf. Wichtig dabei ist zu sagen, was die Situation oder das Geschehene mit mir macht. Das echte Gefühl, nämlich die Verletztheit anzusprechen ist aber nicht immer einfach, denn damit lassen wir unser Schutzschild fallen und entblößen unser Inneres. Und so nutzen wir lieber Pseudogefühl-Floskeln und umgehen so das eigentliche echte Gefühl.


Emotionen sind die Antwort auf unsere Umwelt.
Viele unserer Alltagsgefühle sind eine stimmige Antwort auf eine konkrete Situation: Wenn wir in Gefahr sind, wird Angst aktiviert; wenn man uns bedroht, werden wir ärgerlich. Diese Gefühle passen zur jeweiligen Situation und es gehört zur psychischen Gesundheit, sie wahrnehmen zu können. Sie sind meistens mit einem gesunden Handlungsimpuls verbunden, dem wir folgen sollten.
Am Beispiel der
Trauer lässt sich der Umgangsstil mit diesen Gefühlen gut verdeutlichen. Trauer ist eine Emotion, die natürlicherweise auftritt, wenn
wir etwas für uns Wichtiges verloren haben. Das kann der
Verlust eines geliebten Menschen sein. Trauer – natürlich sehr viel weniger intensiv und
anhaltend – kann aber auch aufkommen, wenn ein schöner Urlaub zu Ende geht, wir
uns vom Sommer verabschieden müssen oder ein Auszug aus einer geliebten Wohnung ansteht. Wir werden traurig, vielleicht fießen sogar Tränen, wir ziehen uns möglicherweise zurück oder wir suchen Beistand bei einem anderen Menschen.
Öffnen wir uns eine gewisse Zeit für die Trauer, so klingt sie langsam von
allein wieder ab. Selbst den Tod eines geliebten Menschen können wir nach einer sehr belastenden Zeit irgendwann „verschmerzen“, wenn wir dem Schmerz den Raum geben, den er braucht. Diese Art von Gefühlen nennt man primäre adaptive Gefühle: primär, weil es das spontan auftretende Gefühl ist, und adaptiv, weil es für uns hilfreich ist.


Ärger als Schutzmaske für andere Gefühle.
Doch nicht alle Gefühle meinen es so gut mit uns und sollten einfach ihren
Raum bekommen. So haben wir recht oft Emotionen, die nur dazu dienen, ein anderes, weitaus unangenehmeres Gefühl nicht fühlen zu müssen.

Typisches Beispiel: Werden wir kritisiert oder auf einen wunden Punkt (Triggerpoint) angesprochen, so reagieren wir oft mit Ärger. Dabei löst die Kritik meistens spontan ein anderes Gefühl aus, wir fühlen uns minderwertig und sind beschämt. Das aber erleben wir als besonders unangenehm und wir versuchen, uns vor diesem Gefühl zu schützen, indem wir einfach nur verärgert sind.


Sei freundlich mit dir selbst.
Auch wenn jedes Gefühl gewissermaßen verstanden werden muss, um einen heilsamen Umgang damit zu finden, so ist eines doch immer notwendig: die freundliche Annahme unserer Gefühle. Alle Gefühle haben eine sinnhafte Funktion und sind Ausdruck unserer Lebendigkeit. Wenn wir sie da sein lassen und uns nicht für unsere Gefühle verurteilen, dann können wir sie erkunden und besser verstehen, was sie uns mitteilen wollen.

 

Quelle: Psychologie heute; Nicole Burtscher